Einleitung:
Die globalen Lieferketten standen in den vergangenen Jahren unter enormem Druck. Besonders während der COVID-19-Pandemie und in der Zeit danach kam es in vielen Branchen zu Lieferengpässen, die Produktion und Handel erheblich beeinträchtigten. Im Folgenden werden die Hauptursachen dieser Engpässe untersucht, die ergriffenen Gegenmassnahmen beleuchtet sowie Veränderungen und Zukunftsaussichten für globale Lieferketten analysiert. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der internationalen Beschaffung mit ihren aktuellen Trends, Risiken und Chancen.
Hauptursachen für Lieferengpässe
In den letzten Jahren wirkte eine Verkettung verschiedener Faktoren zusammen, die zu weltweiten Lieferengpässen führten. Zu den wichtigsten Ursachen zählen:
• Pandemiebedingte Produktionsstopps: Die COVID-19-Pandemie führte 2020 zu einem zeitweisen Stillstand vieler Fabriken und Häfen. Aus Angst vor unsicherer wirtschaftlicher Entwicklung fuhren Unternehmen ihre Produktion und Transportkapazitäten zunächst herunter. Später setzte ein synchroner Aufschwung ein, doch internationale Lieferketten waren durch Lockdowns und Einschränkungen beeinträchtigt. Manche Fabriken brauchten Monate, um ihre Kapazitäten wieder hochzufahren, wurden aber immer wieder durch lokale Corona-Ausbrüche gestoppt. Die Folge: selbst als die Nachfrage stark anzog, konnte die Industrie sie nicht vollständig bedienen.
• Nachfrageboom nach der ersten Pandemiewelle: Nach den Lockdowns kam es global zu einem Nachholkauf-Effekt. In vielen Ländern stieg der Konsum sprunghaft an – angetrieben etwa durch Konjunkturprogramme in den USA, die Erholung der chinesischen Wirtschaft und Nachholbedarf der Verbraucher in Europa. Da die Produktion im ersten Halbjahr 2020 gedrosselt worden war, traf die plötzlich hohe Nachfrage in der zweiten Jahreshälfte 2020 und 2021 auf ein gedrosseltes Angebot. Besonders gefragt waren Elektronik (für Home-Office und Unterhaltung) und andere langlebige Konsumgüter, was unter anderem zu Engpässen bei Halbleitern führte.
• Rohstoff- und Materialknappheit: Eng verbunden mit dem Nachfrageboom ist eine globale Knappheit an Rohstoffen und Vorprodukten. Für Zukunftsbranchen wie Elektromobilität und erneuerbare Energien werden etwa Lithium, Kobalt und seltene Erden in nie dagewesener Menge benötigt – doch diese Rohstoffe sind am Weltmarkt knapp. Gleichzeitig konkurrieren Hersteller um Basismaterialien wie Stahl, Holz oder Kunststoffe. Die Verfügbarkeit vieler Vorprodukte (z. B. Mikrochips für Autos) blieb hinter dem Bedarf zurück, was das Wirtschaftswachstum bremste. Der Konkurrenzkampf um Rohstoffe und Bauteile liess Preise stark ansteigen und verzögerte die Fertigung in zahlreichen Industriezweigen.
• Logistik- und Transportprobleme: Störungen in der Transportkette verschärften die Engpässe. Insbesondere die Seefracht war betroffen, da über 90 % des Warenhandels per Schiff erfolgt. Bereits Anfang 2021 stauten sich vor wichtigen Häfen wie Los Angeles/Long Beach Hunderte Containerschiffe. Die Blockade des Suezkanals durch das Containerschiff Ever Given im März 2021 wurde zum Symbol für die Anfälligkeit globaler Lieferketten. Noch gravierender wirkten sich aber pandemiebedingte Teil-Schliessungen grosser chinesischer Häfen (z. B. Shenzhen-Yantian) aus, wo strikte Lockdowns zu wochenlangen Containerstaus führten. Solche Verzögerungen bei der Verladung und Entladung wirkten sich weltweit aus: Waren blieben länger unterwegs, es fehlten Container an anderen Orten, und Lieferzeiten vervielfachten sich. Die Folge waren auch drastisch gestiegene Frachtkosten – teils hatten sich die Transportkosten auf wichtigen Routen im Jahr 2021 verdreifacht.
• Politische und geopolitische Faktoren: Globale Lieferketten unterliegen auch politischen Einflüssen. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China sowie Ereignisse wie der Brexit schufen Unsicherheit in der Planung internationaler Zukäufe. Besonders einschneidend waren geopolitische Krisen: Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 machte deutlich, dass Lieferketten erheblichen geopolitischen Risiken ausgesetzt sind. Der Krieg störte Lieferbeziehungen bei wichtigen Rohstoffen (z. B. Metalle, Energie) und Vorprodukten (etwa Kabelbäume für die Automobilindustrie aus der Ukraine). Zudem führten Sanktionen und Gegensanktionen zu weiteren Verzerrungen. Die Energiepreise schossen in die Höhe, was die Produktion verteuerte. Insgesamt haben diese politischen Faktoren bestehende Engpässe weiter verschärft oder neue geschaffen.
Massnahmen zur Bewältigung der Engpässe
Angesichts der Lieferengpässe haben sowohl Unternehmen als auch Regierungen verschiedene Gegenmassnahmen ergriffen, um die Versorgung zu stabilisieren und künftigen Störungen vorzubeugen.
Strategien der Unternehmen
Unternehmen haben ihre Beschaffungs- und Produktionsstrategien überprüft und an die neuen Risiken angepasst. Eine zentrale Massnahme ist die Diversifizierung der Lieferantenbasis: Viele Firmen setzen nicht mehr auf einen einzigen Zulieferer, sondern suchen zusätzliche Lieferanten – idealerweise in verschiedenen Weltregionen – um Abhängigkeiten zu verringern. Studien zeigen, dass Betriebe, die von Engpässen betroffen waren, häufiger Lieferanten gewechselt oder ihr Zuliefernetzwerk erweitert haben. Insbesondere wenn vorher Zulieferprobleme im Ausland auftraten, stieg die Bereitschaft, neue Lieferquellen zu erschliessen. So haben bis Mitte 2022 rund 46 % der von Materialmangel betroffenen Betriebe zusätzliche Lieferanten ins Netzwerk aufgenommen – davon die meisten im Inland, aber auch viele in Europa und vereinzelt in Übersee.
Ein weiterer Ansatz ist die Erhöhung von Lagerbeständen. Nachdem jahrelang „Just-in-Time“ als effizientestes Prinzip galt (minimale Lagerhaltung, Anlieferung genau bei Bedarf), setzen nun mehr Unternehmen auf „Just-in-Case“-Puffer. Durch grössere Lager und strategische Vorratshaltung für kritische Teile versuchen Firmen, künftige Versorgungsunterbrechungen abzufedern. Allerdings bedeutet dies höhere Kosten und gebundenes Kapital, sodass ein Abwägen nötig ist. Einige Unternehmen haben auch begonnen, insourcing zu betreiben, d. h. vormals ausgelagerte Produktionsschritte wieder selbst zu übernehmen. So wurde z. B. diskutiert, ob die Herstellung medizinischer Schutzgüter (Masken, Medikamente) wieder verstärkt in Europa erfolgen sollte, um Lieferabhängigkeiten zu reduzieren. Solche Rückverlagerungen (Reshoring/Nearshoring) können die Resilienz steigern, gehen aber oft mit höheren Produktionskosten einher und werden daher sorgfältig geprüft.
Darüber hinaus investieren viele Firmen in die Digitalisierung und Transparenz der Lieferkette. Digitale Tools und bessere Datenanalysen ermöglichen es, den Status von Lieferungen in Echtzeit zu verfolgen und Engpässe früh zu erkennen. Künstliche Intelligenz kann z. B. Prognosen über Verzögerungen liefern, indem sie Nachrichtenlagen oder Muster in Logistikdaten auswertet. Unternehmen etablieren interne Frühwarnsysteme, um bei ersten Anzeichen von Störungen sofort gegensteuern zu können. Auch das Finanz-Risikomanagement rückt in den Vordergrund: Durch Versicherungslösungen (wie Warenkreditversicherungen gegen Zahlungsfälle) sichern Firmen ihre Liquidität ab, falls Geschäftspartner in Krisen ausfallen. Insgesamt lautet die Devise in der Privatwirtschaft: mehr Resilienz statt maximaler Effizienz. Flexiblere Beschaffungsstrategien, Kooperationen mit anderen Unternehmen (etwa geteilte Frachtkapazitäten) und Investitionen in robustere Supply-Chain-Prozesse sollen künftige Schocks besser abfedern.
Staatliche und politische Massnahmen
Auch Regierungen und internationale Institutionen haben auf die Lieferkettenkrisen reagiert. Zu Beginn der Pandemie stand die Versorgungssicherheit bei medizinischen Gütern im Mittelpunkt: Staaten legten Notreserven an oder schufen zentrale Beschaffungsstellen für Masken, Impfstoffe und Medikamente, um Engpässe zu mildern. Später richtete sich der Blick darauf, generelle Abhängigkeiten zu reduzieren. In Deutschland und der EU wurden Analysen gestartet, welche kritischen Materialien (etwa seltene Rohstoffe oder pharmazeutische Wirkstoffe) stark von wenigen Lieferländern abhängen. Als Reaktion entstanden Strategien, diese Abhängigkeiten zu verringern – etwa durch den EU Chips Act, der Investitionen in die Halbleiterproduktion in Europa fördert, oder durch Förderprogramme zur Rohstoffrecycling und Kreislaufwirtschaft.
Regierungskonjunkturprogramme halfen zudem, die durch Lieferprobleme gebremste Wirtschaft zu stützen. In vielen Ländern flossen Gelder in Infrastruktur, Digitalisierung und Produktion, um Angebotsschocks zu überwinden und die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Zudem nutzten einige Staaten handelspolitische Massnahmen, um Engpässe zu entschärfen: So wurden etwa vorübergehend Exportbeschränkungen für dringend benötigte Güter gelockert und Zollschranken für wichtige Vorprodukte gesenkt. Europäische Politiker betonten die Notwendigkeit, im Krisenfall international zu kooperieren, statt auf Protektionismus zu setzen. Offen gehaltene Handelswege und internationale Zusammenarbeit sollen sicherstellen, dass Güter und Vorleistungen trotz regionaler Probleme weiterhin fliessen können. Langfristig wird eine stärkere Vernetzung der Handelspartner angestrebt – zum Beispiel durch neue oder aktualisierte Freihandelsabkommen. Verlässliche Handelsabkommen helfen Unternehmen dabei, alternative Bezugsquellen in anderen Ländern zu erschliessen, ohne auf tarifäre Hürden zu stossen.
Nicht zuletzt schaffen Regierungen regulatorische Rahmen, um Lieferketten robuster und transparenter zu machen. In Deutschland trat 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft, das Unternehmen verpflichtet, Risiken in ihren globalen Lieferketten (etwa im Hinblick auf Arbeitsbedingungen) zu monitoren. Solche Vorgaben erhöhen den Informationsfluss entlang der Kette und können indirekt dazu beitragen, Schwachstellen schneller aufzudecken. Insgesamt reagieren Politik und Wirtschaft also mit einem Bündel aus kurzfristigen Stützungsmassnahmen und langfristigen Strategien, um das Immunsystem der globalen Lieferketten zu stärken.
Veränderungen in globalen Lieferketten und Beschaffungsstrategien
Die Krisen der letzten Jahre haben deutliche Spuren in der Gestaltung globaler Lieferketten hinterlassen. Viele Unternehmen überdenken das vorher dominante Paradigma der Just-in-Time-Produktion. Vor der Pandemie war es üblich, Lagerbestände so schlank wie möglich zu halten und Zulieferungen exakt zeitgenau zu koordinieren, um Kosten zu sparen. Dieses Modell erwies sich jedoch als anfällig: Fällt ein Glied der Kette unerwartet aus – sei es durch einen Fabrikbrand, einen Lockdown oder ein feststeckendes Schiff – kann dies die gesamte Produktion lahmlegen. Nun setzt sich zunehmend ein hybrider Ansatz durch, der Effizienz und Resilienz ausbalanciert. Unternehmen behalten zwar weitgehend globale Zuliefernetzwerke bei, bauen aber mehr Redundanzen ein. Beispielsweise werden sicherheitsrelevante oder umsatzkritische Komponenten doppelt beschafft (Multi-Sourcing) und an verschiedenen Orten gelagert. Die Schlüsselwörter „Just-in-Case“ und Resilienzmanagement prägen seither die Diskussion.
Ein bemerkenswerter Trend ist die Diskussion um Regionalisierung vs. Globalisierung der Lieferketten. Die Corona-Krise entfachte Rufe nach Renationalisierung – also Produktion wieder näher beim Endmarkt anzusiedeln (Stichwort Nearshoring oder Reshoring). Tatsächlich haben manche Branchen begonnen, Teile ihrer Fertigung zurück in heimische Gefilde zu verlagern, insbesondere wenn es um strategische Güter oder sehr störanfällige Lieferketten geht. So wurde in Europa die lokale Produktion von Halbleitern, Batterien oder medizinischem Material vorangetrieben. Allerdings zeigt sich in der Breite, dass eine vollständige Abkehr von globalen Wertschöpfungsnetzen nicht die Regel ist: In Unternehmensbefragungen gab nur ein kleiner Teil der Firmen an, die Beschaffung konsequent zu lokalisieren oder Auslandsabhängigkeiten stark zu reduzieren. Die Gründe liegen auf der Hand: Für viele Produkte gibt es nur wenige spezialisierte Zulieferer weltweit, sodass man gar keine echte Wahl hat. Zudem sind Kostenunterschiede und der Zugang zu Wachstumsmärkten wichtige Treiber – Unternehmen produzieren oft in Übersee, um nahe an boomenden Absatzmärkten wie Asien zu sein. Eine Rückverlagerung wäre häufig mit höheren Produktionskosten verbunden, die nicht ohne Weiteres an Kunden weitergegeben werden können. Insofern beobachten wir eher eine Rekonfiguration globaler Lieferketten statt einen kompletten Rückbau: Firmen streuen ihre Bezugsquellen breiter und schaffen regionale Back-up-Kapazitäten, ohne die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung aufzugeben.
Beschaffungsstrategien passen sich ebenfalls an. Einkaufsteams arbeiten enger mit Logistik und Produktion zusammen, um flexibel auf Störungen zu reagieren. Viele Unternehmen haben formelle Risikomanagement-Prozesse für die Lieferkette implementiert. Diese beinhalten regelmässige Stresstests („Was wäre, wenn ein Lieferant X ausfällt?“) und Szenario-Planungen, wie alternative Lieferwege genutzt werden könnten. Digitale Lieferkettenplattformen verbessern die Transparenz: Sie zeigen in Echtzeit, wo sich Waren befinden, welche Bestände kritisch werden und wo möglicherweise Engpässe drohen. So können Unternehmen proaktiv umlenken – etwa auf andere Zulieferer oder Transportwege – bevor die Produktion steht. Auch Nachhaltigkeitsaspekte gewinnen an Einfluss auf die Beschaffung: Firmen achten vermehrt darauf, Rohstoffe aus verantwortungsvollen Quellen zu beziehen und ihre Lieferketten nicht nur resilient, sondern auch umweltfreundlicher zu gestalten (z. B. durch kürzere Transportwege oder CO₂-Reduktion). Insgesamt werden globale Lieferketten agiler und abwechslungsreicher. Die starre Optimierung auf Kosten und Zeit weicht einer flexibleren Optimierung, die Risiken, Qualität und Nachhaltigkeit mit einbezieht.
Prognosen für die zukünftige Entwicklung der Lieferketten
In die Zukunft blickend, erwarten Experten eine anhaltende Neuausrichtung globaler Lieferketten, allerdings ohne deren völlige Auflösung. Die Globalisierung wird nicht vollständig zurückgedreht, da die Vorteile internationaler Arbeitsteilung weiterhin gross sind. Jedoch werden Unternehmen künftig stärker auf Robustheit achten und weniger allein auf Kostenoptimierung. Resilienz bleibt ein zentrales Thema: Künftige Investitionen fliessen in Technologien und Prozesse, die Lieferketten widerstandsfähiger machen – beispielsweise bessere Frühwarnsysteme, alternative Lieferantenpools und höhere Lagerreichweiten für kritische Artikel. Viele Firmen werden ihre Zuliefererlandschaft regelmässig überprüfen und „Single Points of Failure“ (einzelne kritische Abhängigkeiten) konsequent reduzieren. Dabei ist zu erwarten, dass Lieferketten multinational bleiben, aber eben breiter aufgestellt und mit Fall-back-Lösungen versehen. So könnte ein Hersteller wichtige Komponenten parallel aus zwei oder drei Ländern beziehen, um Risiken zu streuen.
Globale Risiken wie der Klimawandel könnten Liefernetzwerke in Zukunft weiter auf die Probe stellen. Extremwetter-Ereignisse (Stürme, Überschwemmungen, Dürren) nehmen tendenziell zu und bedrohen konzentrierte Produktionsstandorte in bestimmten Weltregionen. Daher wird das Thema Versorgungssicherheit langfristig nicht nur aus pandemie- oder kriegsbedingter Sicht relevant bleiben, sondern auch unter dem Aspekt der Klimarisiken. Unternehmen und Regierungen arbeiten an Notfallplänen für solche Fälle – etwa alternative Routen, strategische Reserven und internationale Hilfsabkommen. Die Digitalisierung der Lieferkette dürfte sich ebenfalls beschleunigen: Bis 2030/2035 rechnen Berater damit, dass viele Lieferketten weitgehend virtuell geplant werden (Stichwort: digitale Zwillinge der Supply Chain) und lokal näher am Endkunden organisiert sind, wo sinnvoll. Durch künstliche Intelligenz, Blockchain und IoT-Technologien werden Lieferwege transparenter und automatisierter ablaufen, was die Anpassungsfähigkeit erhöht.
Eine wahrscheinliche Entwicklung ist, dass sich Branchen unterschiedlich ausrichten. Strategische Güter (z. B. medizinische Produkte, kritische Elektronik) könnten vermehrt lokal oder in vertrauenswürdigen Partnerländern gefertigt werden, unterstützt durch staatliche Anreize. Hingegen bleibt bei weniger kritischen Massenprodukten die Kosteneffizienz tonangebend – hier werden globale Lieferketten fortbestehen, allerdings mit etwas mehr Puffer. Insgesamt sprechen Beobachter von einem neuen Gleichgewicht zwischen Effizienz und Resilienz in der globalen Wertschöpfung. Für die Weltwirtschaft bedeutet dies, dass man versucht, die Vorteile offener Märkte und langer Wertschöpfungsketten zu bewahren, gleichzeitig aber Lehren aus der Pandemie zieht, um im Ernstfall schneller reagieren zu können. Sollte es erneut zu globalen Krisen kommen, wird die Devise lauten: „Kooperation first“ – also internationale Abstimmung, um kritische Engpässe gemeinsam abzumildern.
Internationale Beschaffung: Trends, Risiken und Chancen für Unternehmen
Gerade für international agierende Unternehmen ist die globale Beschaffung ein zweischneidiges Schwert – sie bietet enorme Chancen, birgt aber auch diverse Risiken. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre zeichnen sich einige klare Trends ab:
• Trends: Unternehmen entwickeln Beschaffungsstrategien, die glokal ausgerichtet sind – also global diversifiziert, aber lokal abgesichert. Multi-Sourcing ist zum Standard geworden: Statt nur auf einen Lieferanten oder ein Land zu setzen, werden parallele Bezugsquellen in verschiedenen Regionen etabliert. Auch Nearshoring ist ein Trend in bestimmten Bereichen: Für zeitkritische oder sensible Komponenten suchen Firmen Lieferanten in relativer Nähe (z. B. Osteuropa für westeuropäische Unternehmen), um Lieferwege zu verkürzen. Gleichzeitig bleibt die Internationalisierung der Beschaffung wichtig, um Kostenvorteile und Innovationen weltweit nutzen zu können. Einige Branchen verfolgen einen „China+1“-Ansatz – sie behalten China als wichtigen Produktionsstandort, bauen aber mindestens einen alternativen Standort in Asien oder anderswo auf, um bei Problemen schneller ausweichen zu können. Die Digitalisierung des Einkaufs schreitet ebenso voran: Globale Online-Plattformen und elektronische Ausschreibungen erleichtern es, neue Lieferanten in aller Welt zu finden und flexibel zu vergleichen. Dadurch wird die internationale Beschaffung transparenter und reaktionsschneller.
• Risiken: Die globale Beschaffung bleibt anfällig für externe Schocks. Geopolitische Risiken sind ein ständiger Begleiter – Handelskonflikte, politische Instabilität oder Krieg können Lieferströme abrupt unterbrechen (wie der Ukraine-Krieg zeigte). Auch Handelssanktionen oder plötzliche Zollerhöhungen können Beschaffungskosten und -wege beeinflussen. Daneben bestehen logistische Risiken: Lange Transportwege über Kontinente hinweg erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Verzögerungen durch Hafenprobleme, Frachtraumengpässe oder steigende Treibstoffkosten. Naturkatastrophen (Erdbeben, Überschwemmungen) in fernen Lieferantenländern oder Pandemien können ebenfalls die Versorgung lahmlegen. Ferner gibt es Währungs- und Preisrisiken: Schwankende Wechselkurse oder volatile Rohstoffpreise können internationale Einkaufsbudgets durcheinanderbringen. Nicht zuletzt müssen Unternehmen auf kulturelle und regulatorische Unterschiede achten – z. B. abweichende Qualitätsstandards, längere Kommunikationswege oder rechtliche Unsicherheiten in fremden Märkten. Das Management dieser Risiken erfordert einen gut abgestimmten Plan B und permanente Beobachtung der globalen Lage (Issue-Monitoring).
• Chancen: Trotz der genannten Risiken bietet die internationale Beschaffung enorme Chancen für Unternehmen. Durch den Zugriff auf weltweite Lieferanten können Firmen häufig Kosten sparen, da sie Standorte mit günstigeren Produktionskosten nutzen. Ausserdem lassen sich Innovationen und Spezialprodukte einbinden – viele technologische Komponenten oder neue Materialien stammen aus bestimmten Ländern, in denen es entsprechende Experten und Industrien gibt. Eine breite globale Aufstellung im Einkauf ermöglicht es auch, flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren: Wenn in einer Region die Nachfrage oder Kosten steigen, kann man auf andere Regionen ausweichen. Zudem fördern globale Lieferketten den Wissenstransfer und die Weiterentwicklung von Produkten, da man im Austausch mit verschiedenen Zulieferern steht. Unternehmen können ihre Marktpräsenz ausbauen, indem sie in Beschaffungsmärkten gleichzeitig Absatzmärkte erschliessen (local-for-local Strategie) – zum Beispiel Produktion in Asien, um dort direkt die wachsende Mittelschicht zu bedienen. Insgesamt erhöhen internationale Beschaffungsnetzwerke die Wettbewerbsfähigkeit, weil sie Zugang zu den besten Ressourcen weltweit verschaffen. Gerade wer die Balance aus globaler Reichweite und lokaler Anpassungsfähigkeit findet, kann aus den Erfahrungen der Krise gestärkt hervorgehen.
Fazit
Die Lieferengpässe der letzten Jahre haben Wirtschaft und Politik vor Augen geführt, wie verwundbar globale Lieferketten sein können. Hauptursachen waren eine ungewöhnliche Kumulation von Pandemieschocks, Nachfragesprüngen, Materialknappheit, logistischen Engpässen und geopolitischen Konflikten. Unternehmen und Regierungen haben mit vielfältigen Massnahmen reagiert – von der Diversifizierung der Lieferquellen über den Aufbau von Lagerpuffern bis hin zu internationaler Kooperation und neuen Regelwerken. Diese Entwicklungen haben bereits zu spürbaren Veränderungen in den Beschaffungsstrategien geführt: Resilienz ist zu einem gleichberechtigten Ziel neben Effizienz geworden.
Für die Zukunft zeichnet sich ab, dass globale Lieferketten weder komplett in alte Muster zurückfallen noch völlig lokalisiert werden. Vielmehr entsteht ein hybrides Modell: Weltweite Netzwerke bleiben bestehen, aber mit mehr Sicherheitsnetzen und smarterer Steuerung. Internationale Beschaffung bleibt für Unternehmen ein Feld voller Chancen, wenn sie professionell gemanagt wird – sie erlaubt Kostenvorteile und Innovationszugang, muss aber Risiken wie politische Einflüsse oder Transportstörungen einkalkulieren. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie gut es gelingt, globales Supply-Chain-Management krisenfester zu machen. Klar ist: Lieferketten-Themen wie Resilienz, Flexibilität und Nachhaltigkeit werden dauerhaft hohe Priorität behalten, damit die Weltwirtschaft auch in turbulenten Zeiten lieferfähig bleibt.