Einleitung

In global verzweigten Lieferketten ist es keine Seltenheit, dass Produkte in mehreren Ländern bearbeitet, vormontiert oder fertiggestellt werden. Dies wirft insbesondere im nicht-präferenziellen Ursprungsrecht die zentrale Frage auf: Welches Land darf als Ursprungsland deklariert werden?

Gerade im US-Zollrecht, wo auf bestimmte Ursprungswaren – etwa aus China – Strafzölle gemäss Section 301 des Trade Act erhoben werden, ist eine korrekte Ursprungsermittlung entscheidend. Fehlerhafte Ursprungsangaben können empfindliche finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen.

Das Ruling HQ H302821 der US-Zollbehörde Customs and Border Protection (CBP) bietet ein prägnantes Beispiel für die strikte Anwendung des US-Kriteriums der „substantial transformation“ bei der Ursprungsbestimmung. Im Zentrum steht die Frage, ob eine Endmontage in Schweden ausreicht, um chinesischen Ursprung zu überschreiben.

Die US-Definition der „substantial transformation“

Für die Zwecke des US-Zollrechts gilt eine Ware als in dem Land hergestellt, in dem sie ihre letzte „wesentliche Veränderung“ (substantial transformation) erfahren hat – also eine Bearbeitung, durch die ein neues Produkt mit anderem Namen, anderer Charakteristik oder neuem Verwendungszweck entsteht.

Wird eine Ware lediglich zusammengesetzt oder in ihrer bestehenden Funktion ergänzt, ohne dass sich ihr wirtschaftlicher Charakter grundlegend ändert, liegt keine substantial transformation vor. US-Zollbehörden und Gerichte setzen diese Schwelle hoch an und erkennen einfache Montageprozesse meist nicht als ausreichend an, um den Ursprung zu ändern.

Ruling HQ H302821: Die Volvo-Produktion im Fokus

Im Ruling HQ H302821 beurteilte CBP die zollrechtliche Herkunft von Fahrzeugen der Marke Volvo, die in einer länderübergreifenden Fertigungskette entstanden. Wesentliche Fahrzeugmodule – darunter eine lackierte Karosserie, ein Motorpaket und ein Hinterachsmodul – wurden in China vormontiert. Weitere Bauteile wie Stossfänger, Batteriesystem und Sitze wurden ebenfalls in China gefertigt. Die finale Montage der Fahrzeuge erfolgte anschliessend in Schweden, von wo aus sie in die USA exportiert wurden.

Die zentrale Frage lautete: Wurde durch die Endmontage in Schweden eine substantial transformation vorgenommen, die den Ursprung der Fahrzeuge von China auf Schweden ändert?

Ergebnis des CBP-Rulings

CBP verneinte diese Frage klar. Nach Einschätzung der Behörde waren die in China vormontierten Module bereits so weit funktional ausgestaltet, dass sie eine entscheidende Rolle für das Endprodukt spielten – insbesondere, da sie mit festgelegtem Verwendungszweck und technischer Identität nach Schweden verbracht wurden. Die Montage in Schweden wurde von CBP als nicht ausreichend komplex eingestuft, um eine neue Identität der Ware zu begründen.

Die vormontierten Komponenten behielten nach Auffassung der Behörde ihren wirtschaftlichen Charakter, selbst nach dem Zusammenbau zum vollständigen Fahrzeug. Eine wesentliche Veränderung sei demnach nicht in Schweden, sondern in China erfolgt.

Folge: Ursprung China trotz EU-Endmontage

CBP kam zu dem Schluss, dass die Fahrzeuge trotz der Endmontage in Schweden als Ursprungsware chinesischer Herkunft einzustufen sind. Dementsprechend unterlagen sie bei der Einfuhr in die USA den Zusatzzöllen von 25 % gemäss Section 301, die auf chinesische Ursprungswaren erhoben werden.

Implikationen für die Praxis

Das Ruling verdeutlicht, dass im US-Zollrecht nicht der letzte Produktionsstandort entscheidend ist, sondern die Frage, wo das Produkt seine „zollrechtliche Identität“ erhält. Für international produzierende Unternehmen bedeutet dies: Eine sorgfältige Analyse der gesamten Produktionskette ist zwingend notwendig.

Gerade einfache Montageprozesse – selbst wenn sie im EU-Raum erfolgen – reichen vielfach nicht aus, um den Ursprung aus Sicht der US-Zollbehörden zu ändern. Vielmehr müssen Unternehmen dokumentieren, wo genau eine substantial transformation stattfindet – idealerweise gestützt durch technische Stücklisten, Fertigungsdokumentationen und Funktionsbeschreibungen.

Besonderes Augenmerk bei Exporten in die USA

Für den US-Markt hat eine korrekte Ursprungsbestimmung direkte finanzielle Auswirkungen. Eine fälschlich als „schwedisch“ deklarierte Ware chinesischen Ursprungs kann zu Nachforderungen, Strafzahlungen oder gar zum Verlust des Marktzugangs führen. Gleichzeitig verdeutlicht der Fall, dass sich das Ursprungsrecht – insbesondere bei nicht-präferenziellen Regeln – nicht an formalen Landesgrenzen oder Montageorten orientiert, sondern an wirtschaftlichen Funktionszusammenhängen.

Fazit

Das CBP-Ruling HQ H302821 ist ein Lehrstück für die Anwendung des Ursprungsbegriffs im US-Zollrecht. Die Entscheidung zeigt klar: Eine Endmontage, die auf vorgefertigten Kernkomponenten basiert, führt nicht automatisch zu einem neuen Ursprung. Entscheidend ist der Ort der letzten wesentlichen wirtschaftlichen Veränderung – in diesem Fall: China.

Für exportierende Unternehmen gilt daher: Die Ursprungsangabe ist kein formaler Akt, sondern erfordert eine technische und zollrechtliche Prüfung. Gerade bei Exporten in die USA ist besondere Sorgfalt gefragt – sowohl bei der Dokumentation als auch bei der Bewertung der Fertigungsschritte.

Massgebend ist nicht, wie wir die wesentliche Bearbeitung in der Schweiz oder in der EU festlegen, sondern immer, wie es das Bestimmungsland sieht. Auf ein Schweizer Ursprungszeugnis ist somit nur beschränkt Verlass.

Nur wenn der Ursprung im Einklang mit der Interpretation des Importlandes bestimmt wird, lassen sich unnötige Zölle, Sanktionen oder Nachforderungen vermeiden.