Das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von 1972 markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. In diesem Artikel wird beleuchtet, wie und warum dieses Abkommen zustande kam, welchen Einfluss es auf Handel und Politik hatte und welche nachhaltigen Effekte bis heute spürbar sind.
Wie ein historisches Abkommen die Schweizer Wirtschaft prägte und den Weg für bilaterale Beziehungen ebnete
Das Freihandelsabkommen von 1972: Die Schweiz und die EWG – Fundament einer modernen Handelspartnerschaft

50 Jahre Freihandelsabkommen Schweiz–EU

 

Die Ausgangslage: Wirtschaft und Politik vor 1972

In den 1960er Jahren befand sich die Schweiz im Spannungsfeld zwischen weltweitem Freihandel und regionalen Integrationsbestrebungen. Während sich die EWG innerhalb Europas formierte und mit einer Zollunion wachsende Märkte schuf, suchte die Schweiz gemeinsam mit anderen EFTA-Staaten nach Wegen, ihre wirtschaftlichen Interessen zu sichern. Die Schweiz lehnte es ab, sich politisch wie wirtschaftlich einseitig zu binden, und setzte auf eigenständige Lösungen, um ihre Exportabhängigkeit zu mindern und Arbeitsplätze zu sichern.
HintergrundEWG und EFTA stehen im Zentrum der europäischen Wirtschaftsintegration.

Motivation fĂĽr das Abkommen: Chancen und Risiken der Integration

Die zunehmende wirtschaftliche Integration in Europa stellte die Schweizer Exporteure vor Herausforderungen, insbesondere durch drohende Handelshemmnisse gegenüber der EWG. Die Schweiz erkannte rasch, dass ein Ausschluss von diesem dynamischen Markt den Industriestandort schwächen könnte. Ziel war, durch ein Freihandelsabkommen gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, Zölle abzubauen und Marktzugang zu sichern, ohne die politische Unabhängigkeit zu verlieren. Gleichzeitig mussten wirtschaftliche Risiken wie Strukturwandel oder Ertragsverluste abgefedert werden. Chancen: Abbau von Zöllen, Sicherung von Arbeitsplätzen, Erhalt politischer Unabhängigkeit

Die Verhandlungen: Interessen, Kompromisse und politischer Wille

Die Verhandlungen mit der EWG begannen vor dem Hintergrund einer doppelten Dynamik: Die EWG wollte nach ihrer ersten Erweiterung die alten Handelskontakte mit den EFTA-Staaten sichern, während die Schweiz darauf achtete, ihre Souveränität zu wahren. Das Verhandlungsteam unter Paul R. Jolles erreichte nach intensiven Gesprächen einen Kompromiss, der einen schrittweisen Zollabbau für Industriegüter und veredelte Agrarprodukte vorsah. Die Flexibilität in der Umsetzung liess Raum für nationale Besonderheiten. Das Schweizer Modell: Souveränität und Pragmatismus

Der Weg zur Volksabstimmung und gesellschaftliche Debatte

Trotz fehlender verfassungsrechtlicher Verpflichtung entschied die Schweizer Regierung, das Abkommen dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Die öffentliche Debatte spiegelte die tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen wider. Argumente für Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze und Wohlstand standen Bedenken hinsichtlich Abhängigkeit und Souveränität gegenüber. Am 3. Dezember 1972 stimmten 72,5 % der Bevölkerung und alle Stände dem Abkommen zu, was die breite Akzeptanz und das Vertrauen in die Schweizer Integrationspolitik zeigte. Die Abstimmung zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) fand später statt, nämlich am 6. Dezember 1992. Dabei lehnte das Schweizer Stimmvolk den Beitritt zum EWR mit knapp 50,3 % Nein-Stimmen ab.
Abstimmungsresultat EWG Freihandelsabkommen 1972

Die Umsetzung: Zollabbau, Warenströme und erste Effekte

Mit Inkrafttreten des Abkommens am 1. Januar 1973 begann der stufenweise Abbau von Zöllen sowie von Kontingentierungen für Industriewaren und bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse. Dieser Prozess wurde von Verwaltung und Wirtschaft eng begleitet. Bereits nach wenigen Jahren zeigte sich, dass der bilaterale Handel stark zunahm. Die Schweizer Produktionsstruktur konnte sich erfolgreich auf die neuen Bedingungen einstellen; Konsumenten profitierten von einer grösseren Warenvielfalt und niedrigeren Preisen.
Grob illustiriert: Wachstum des bilateralen Handels Schweiz–EWG/EU (1972–2022)

Langfristige Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt

Das Freihandelsabkommen wandelte die Beziehungen zur EWG grundlegend. Für die Schweiz, mittlerweile drittgrösster Handelspartner der EU nach USA und China, entwickelte sich das Abkommen zum Wachstumsmotor. Unternehmen konnten europaweit agieren, Innovationen und Investitionen wurden gefördert, und der Konkurrenzdruck erhöhte die Wettbewerbsfähigkeit. Die Integration führte zu neuen Arbeitsplätzen, erforderte aber auch Anpassungsfähigkeit und Qualifizierung im Arbeitsmarkt. Innovation & Wachstum als Folge der Öffnung

Vergleich mit späteren bilateralen Abkommen: Kontinuität und Wandel

GegenĂĽberstellung
FHA 1972 Spätere bilaterale Abkommen
Fokus auf Warenaustausch Zusätzlich Personenfreizügigkeit, Forschung, Verkehr, etc.
Pragmatische, wirtschaftsorientierte Herangehensweise Umfassende Regelungsbereiche
Basis für bilateralen Prozess Stärkere institutionelle Verflechtung

Herausforderungen und Perspektiven fĂĽr die Zukunft

Aktuelle geopolitische und wirtschaftliche Entwicklungen fordern das Abkommen weiterhin heraus. Fragen nach nachhaltiger Entwicklung, technologischem Wandel und regulatorischen Standards stehen im Zentrum der gegenwärtigen Diskussion. Die Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und gleichzeitig neue Märkte zu erschliessen, bleibt bestehen. Gleichzeitig ist das Ursprungsabkommen eine wichtige Referenz für die Fähigkeit der Schweiz, sich flexibel und innovativ im europäischen Umfeld zu behaupten.
Langfristige Tragweite und heutige Relevanz
Das Freihandelsabkommen von 1972 legte das stabile Fundament für die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Schweiz und der EU. Trotz neuer Herausforderungen bleibt es ein Eckpfeiler des bilateralen Austauschs. Sein integrativer Ansatz und die flexible Ausgestaltung prägen das Verhältnis zur Europäischen Union bis heute massgeblich.