Die EU stellt ihre Ursprungsregeln auf den Prüfstand: Nichtpräferenzielle Herkunftsbestimmungen, deren Nachweis und Verifizierung stehen seit dem UZK-Start 2016 im Fokus. Vor dem Hintergrund fragmentierter Lieferketten, neuer Produktionsmodelle und politischer Prioritäten von Nachhaltigkeit bis Resilienz entscheidet Herkunft zunehmend über Marktzugang, Zollsätze, Sorgfaltspflichten und Reputationsrisiken. Stakeholder können jetzt Einfluss auf den künftigen EU-Rahmen nehmen.
Die EU prüft ihre nichtpräferenziellen Ursprungsregeln grundlegend – zwischen geopolitischem Druck, nachhaltiger Industriepolitik und komplexen Lieferketten.
Zollrechtliche Herkunft neu denken: Warum die Ursprungsregeln jetzt über Wettbewerbsfähigkeit entscheiden

Ursprung & Strategie: EU-Evaluierung und operative Leitplanken

EU-Ursprungsregeln zwischen Handelspolitik, Industriepolitik und Nachhaltigkeit.
 

Warum Herkunft jetzt über Strategie entscheidet

Die zollrechtliche Herkunft eines Erzeugnisses ist zur Schaltstelle zwischen Handelspolitik, Industriepolitik und Nachhaltigkeitszielen geworden. Was lange als compliancegetriebene Pflicht galt, beeinflusst heute unmittelbar Zollsätze, Exportkontrollen, Antidumpinganwendungen, Ursprungskennzeichnung und die Nutzung von Freihandelspräferenzen. Drei strukturelle Verschiebungen treiben diese Entwicklung:
  • Erstens fragmentieren Wertschöpfungsketten durch Nearshoring, Friendshoring und Multi-Sourcing, wodurch „letzte wesentliche Be- oder Verarbeitung“ und Wertkriterien schwieriger zu bestimmen sind.
  • Zweitens verknüpfen neue EU-Regime – etwa Lieferkettensorgfalt, Kreislaufwirtschaft und Produktpass-Initiativen – Rohstoff- und Prozessdaten enger mit regulatorischen Folgen.
  • Drittens steigen geopolitische Risiken, sodass Ursprung über Sanktionsexposition, Umgehungsrisiken und Compliance-Kosten mitentscheidet.
Damit verlässt der Ursprung die Nische der Zollabteilungen und wird zum Thema für Vorstände, Einkaufs- und Produktionsleitung. Unternehmen, die ihre Herkunftsarchitektur – Materialstamm, Lieferantenerklärungen, Kumulierung, Nachweisführung – strategisch ausrichten, sichern Präferenzvorteile, senken Zoll- und Bussgeldrisiken und verbessern Time-to-Clearance. Gleichzeitig verlangt die neue Lage eindeutige, praktikable Regeln: zu Definition, Belegführung, Verifizierung und zu Schnittstellen zwischen präferenziellen und nichtpräferenziellen Systemen.

Die EU-Evaluierung im Überblick

Kontext der EvaluierungDie Europäische Kommission evaluiert aktuell die nichtpräferenziellen Ursprungsregeln und nimmt zugleich die präferenziellen Regeln als Benchmark für Praktikabilität und Zielgenauigkeit. Betrachtet wird die Zeitspanne seit Inkrafttreten des Unionszollkodex (UZK) 2016.
Im Zentrum stehen drei Kernbereiche: die inhaltliche Definition des nichtpräferenziellen Ursprungs (insbesondere die Auslegung der „letzten wesentlichen, wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung“), der Nachweis („origin data“, Lieferantenerklärungen, Rechnungsangaben, Systemdaten) sowie die Verifizierung (Aussenprüfungen, risikobasierte Kontrollen, internationale Amtshilfe).
Die Konsultation ist zugleich eine Standortbestimmung angesichts neuer Produktionsmethoden (z. B. modulare Fertigung, Softwareintensität, Remanufacturing) und politischer Prioritäten wie Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft, Resilienz und strategische Autonomie. Die Leitfrage lautet: Wie lassen sich Rechtssicherheit, Kontrollfähigkeit und Handelserleichterungen austarieren, ohne internationale Wettbewerbsfähigkeit zu untergraben? Explizit adressiert die Kommission Erfahrungen der Wirtschaft: Welche Regeln sind praktikabel, wo bestehen Brücken zwischen präferenziellen und nichtpräferenziellen Logiken, und welche digitalen Nachweis- und Auditpfade bewähren sich in der Praxis? Unternehmen können mit konkreten Fallkonstellationen und Prozessvorschlägen zur Ausgestaltung beitragen.

Nichtpräferenzieller vs. präferenzieller Ursprung

Der nichtpräferenziellen Herkunft kommt als „Default“ im Zollrecht eine eigenständige Funktion zu: Sie steuert Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs, handelspolitische Massnahmen, Antidumping/Antisubvention, Einfuhrverbote sowie Ursprungskennzeichnung.
Grundlage ist das Prinzip der letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung, die zu einem neuen Erzeugnis führt oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt. Demgegenüber dienen präferenziellen Regeln der Erschliessung tariflicher Vorteile aus Abkommen. Sie arbeiten mit produktspezifischen Regeln (PSR), Kumulierungstatbeständen, Wertschöpfungsschwellen, Positionswechseln (CC, CTH, CTSH) oder spezifischen Verarbeitungsschritten und verlangen förmliche Nachweise (z. B. Erklärung zum Ursprung, REX, Importer’s Knowledge je nach Abkommen). In der Praxis prallen beide Systeme über Daten, Prozesse und Lieferantenerklärungen aufeinander. Eine Harmonisierung würde operative Komplexität reduzieren.

Neue Wirklichkeit der Lieferketten: Komplexität

Globale Lieferketten sind heute hochgradig modular und dynamisch. Beschaffung wechselt zwischen Regionen. Die Evaluierung bietet die Chance, zirkuläre Prozesse rechtssicher zu verankern – etwa durch klar definierte Kriterien für Remanufacturing, Mindestverarbeitungen und dokumentationsfähige Herkunftspfad-Modelle. 

Definition, Nachweis, Verifizierung: Wo die Praxis hakt

Unternehmen stehen vor unklaren Auslegungsschwellen bei der letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung, insbesondere wenn mehrere nennenswerte Schritte in unterschiedlichen Ländern stattfinden. Herausforderung ist eine lückenhafte Datenqualität entlang der Kette – unter Berücksichtigung von Lieferantenerklärungen, Stücklisten, Wertanteilen, Zolltarifierung.

Politische Prioritäten

Die Überarbeitung der Ursprungsregeln muss wirtschaftliche Praktikabilität mit politischen Leitlinien versöhnen. Die richtige Balance vermeidet Compliance-Fallen, stützt Handel und fördert Transformation.

Operative Leitplanken für Unternehmen: Von der Stückliste zur Beweisführung

Pragmatische Umsetzung beginnt in den Stammdaten. Erforderlich sind konsistente Zolltarifierungen, stücklistengestützte Wert- und Ursprungsanteile sowie gepflegte Lieferantenerklärungen mit Gültigkeit, Umfang und Referenz auf Produkte/HS-Codes. Firmen sollten ein duales Regelwerk hinterlegen: präferenziell je Abkommen mit produktspezifischen Regeln, nichtpräferenziell mit nachvollziehbarer Logik zur „letzten wesentlichen Verarbeitung“. Auf Prozessebene empfiehlt sich ein Vierklang:
  • Regelprüfung: Automatisierte Herkunftsentscheidungen
  • Nachweisarchitektur: Versionierte Lieferantenerklärungen, digitale Signaturen, Beleglinks zu Bestellungen, Lieferscheinen, Rechnungen und Produktionsaufträgen.
  • Verifizierungsbereitschaft:  Zugriff für Zollprüfungen, Probenachweise, kalkulationsstützende Dokumente.
  • Governance: Trennung der Verantwortlichkeiten (Einkauf, Zoll/Trade Compliance, Finanzen), Vier-Augen-Prinzip, Eskalationswege.Technisch zahlt sich die Integration von ERP, Zollsoftware und Dokumentenmanagement aus sowie  Training für Einkauf und Vertrieb.

Spezialfälle: Kumulierung

Kumulierung ermöglicht es, Vormaterialien in übereinstimmenden Präferenzräumen zu „mitisieren“. In Übergangsphasen mit parallel geltenden Regelwerken steigt die Komplexität: Unternehmen müssen Matrixen prüfen, ob diagonale oder bilaterale Kumulierung zulässig ist, und die jeweilige Nachweissystematik (z. B. Erklärung zum Ursprung, Lieferantenerklärung, Registrierungen) einhalten.
Regulierungshybride entstehen, wenn nichtpräferenzieller Ursprung handelspolitische Massnahmen triggert, während präferenzieller Ursprung Zollvorteile gewährt – so kann dasselbe Produkt zugleich von Zusatzzöllen erfasst und präferenzbegünstigt sein, je nach rechtlicher Frage. Abgrenzungsscharfe Fragen: Wann begründet die Aufarbeitung einen neuen Ursprung? Welche Mindestprozesse gelten als unzureichend? Empfehlenswert sind interne Entscheidungskataloge mit Beispielen, Wert- und Funktionsschwellen sowie die proaktive Abstimmung  bei Serienfällen.

Daten, Digitalisierung und Audit-Fähigkeit

Digitale Nachweiswelten werden zum Kern der Ursprungssicherheit. Unternehmen sollten Datenmodelle entwickeln, die Material, Prozess, Standort und Zeitdimension verbinden:- Materialebene: HS-Code, Ursprung der Vormaterialien, Wertanteile, technologische Spezifikation. - Prozessebene: Fertigungsschritte mit Ortsbezug, Fertigungstiefe, Standardarbeitspläne, Rework/Remanufacturing-Flags. - Dokumentebene: Verknüpfung von Bestellungen, Lieferscheinen, Rechnungen, Warenbegleitpapieren, Lieferantenerklärungen. - Complianceebene: Gültigkeit, Widerruf, Ausnahmen, Qualität der Quelle.

Was Stakeholder jetzt tun sollten

Die laufende Evaluierung ist eine seltene Gelegenheit, die Regelarchitektur mitzugestalten. Wer jetzt investiert, kann die künftige Regelwelt proaktiv nutzen, statt reaktiv zu folgen.
Ursprung als strategischer Produktionsfaktor
Ursprungsregeln sind kein Formalismus mehr, sondern Hebel für Marktzugang, Kostenstruktur und ESG-Konformität. Wer Prozesse, Datenqualität und Lieferantennetzwerke auf die EU-Evaluierung ausrichtet, reduziert Risiken und erschliesst Vorteile in Präferenzabkommen. Entscheidend sind klare Governance, digital belastbare Nachweise und frühe Beteiligung an der Konsultation – so wird Herkunft zum Wettbewerbsvorteil.

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