Das Schweizer Bundesverwaltungsgericht hat am 19. Mai 2025 einen bedeutsamen Entscheid im Bereich der Einfuhrsteuer gefällt, der die bisherige Praxis des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) grundlegend in Frage stellt. Der Fall betrifft einen Importeur ohne eigenes Zollkonto, der nach einem Umrechnungsfehler bei der MWST-Berechnung die Zahlung der Rechnung an den Zollagenten verweigerte. Dieser Präzedenzfall könnte weitreichende Auswirkungen auf die Handhabung von MWST-Berichtigungen und Vorsteuerabzügen haben.
Neue Rechtsprechung stellt klar: Keine Vorsteuerabzugsberechtigung ohne tatsächliche MWST-Zahlung
Wegweisender Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zur MWST-Berichtigung bei Einfuhrsteuern
Revolutionärer Entscheid zur MWST bei Einfuhr – Die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
Der Sachverhalt: Umrechnungsfehler und verweigerte Zahlung
Fallbeschreibung
Im Zentrum des Rechtsstreits steht ein Importeur ohne eigene Zollkontonummer, der einen Zollagenten für die Einfuhrabwicklung beauftragt. Durch einen Umrechnungsfehler wurde die berechnete Mehrwertsteuer verfälscht. Der Zollagent beglich die Einfuhrsteuer gegenüber dem BAZG und stellte dem Importeur eine Rechnung inklusive Dienstleistungsgebühren sowie der ausgelegten Steuer. Nach Feststellen des Fehlers verweigerte der Importeur die Zahlung und beantragte beim BAZG eine Korrektur – jedoch nach Ablauf der 60-tägigen Beschwerdefrist. Diese besondere Konstellation führte zu einem grundlegenden Rechtsstreit um die MWST-Systematik bei Einfuhren und das Vorsteuerabzugsrecht.Die bisherige Praxis des BAZG
Verwaltungspraxis
Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) folgte bisher dem Grundsatz des „Nullsummenspiels“: Wurde bei der Einfuhrsteuer zu viel MWST berechnet, könne das durch den Vorsteuerabzug ausgeglichen werden, sodass eine Korrektur regelmässig abgelehnt wurde – besonders nach Ablauf der 60-Tage-Frist und bei bestehendem Vorsteuerabzugsrecht. Nur ein Liquiditätsnachteil sei kein ausreichender Grund für eine nachträgliche Korrektur.
Die revolutionäre Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
BundesverwaltungsgerichtUrteilsänderung
Das Urteil vom 19. Mai 2025 stellt einen Wendepunkt dar. Das Gericht entschied:- Der Vorsteuerabzug ist nur zulässig, wenn die Steuer tatsächlich bezahlt wurde; das „Nullsummenspiel“ greift nur in diesem Fall.
- Die 60-Tage-Beschwerdefrist kann im Interesse der materiellen Steuergerechtigkeit durchbrochen werden, wenn objektiv die Voraussetzungen fĂĽr den Vorsteuerabzug nicht vorliegen.
Die rechtliche BegrĂĽndung: Bezahlung als Voraussetzung fĂĽr Vorsteuerabzug
Juristische Analyse
Das Gericht betonte anhand des MWSTG, dass der Vorsteuerabzug voraussetzt, dass die Steuer tatsächlich in Rechnung gestellt und gezahlt wurde. Für die Einfuhrsteuer gelten dabei die gleichen Prinzipien wie für die inländische MWST. Von Bedeutung ist die tatsächliche wirtschaftliche Belastung, nicht nur die formelle Zahlung.Besonders im Fall des Zwischenschaltens eines Zollagenten: Der wirtschaftlich Verpflichtete muss die Steuer faktisch zahlen, andernfalls entfällt der Anspruch auf Vorsteuerabzug.
Durchbrechung der 60-Tage-Frist: Ein Novum in der Rechtsprechung
Fristdurchbrechung
Das Bundesverwaltungsgericht liess eine Berichtigung trotz abgelaufener Frist zu und schuf so eine bedeutsame Ausnahme vom Grundsatz der Rechtssicherheit. Ausschlaggebend ist, ob objektiv die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht erfüllt sind, der Antragsteller den Zustand nicht selbst missbräuchlich herbeigeführt hat und ein schützenswertes Interesse besteht.Der Grundsatz der materiellen Steuerwahrheit geht in diesem Rahmen über die formelle Rechtssicherheit hinaus.
Strategische Konsequenzen fĂĽr Importeure
Empfehlungen & Risiken
- Sorgfältige und zeitnahe Prüfung aller Veranlagungsverfügungen sowie Rechnungen des Zollagenten.
- Dokumentation festgestellter Fehler ist essenziell.
- Schnelle Kommunikation mit dem Zollagenten zur Lösung.
- Zahlungsverweigerung ist riskant und sollte nur als letztes Mittel in Erwägung gezogen werden.
- Alternativ: Zahlung unter Vorbehalt und parallele Anfechtung der VerfĂĽgung.
Auswirkungen auf die Praxis des BAZG
Veränderung der Verwaltungspraxis
Das BAZG muss künftige Berichtigungsanträge prüfen, ob die Einfuhrsteuer wirtschaftlich wirklich gezahlt wurde, interne Richtlinien überarbeiten, differenziert prüfen und neue Nachweisanforderungen stellen. Die Kommunikation gegenüber Importeuren und Zollagenten wird sich verändern. Auch die ESTV als Kontrollbehörde des Vorsteuerabzugs wird ihre Prüfstandards ggf. anpassen. Es wird erwartet, dass bald eine offizielle Stellungnahme oder ein Rundschreiben folgt.Die Rolle der Zollagenten im neuen Rechtsrahmen
Chancen und Risiken
- Erhöhtes Haftungsrisiko bei Fehlern, insbesondere wenn dadurch der Vorsteuerabzug entfällt.
- Verstärkte Prüfpflichten und Anpassung der Vertragsbeziehungen.
- Notwendigkeit transparenter, intensiver Professionalisierung der Zollkontoverwaltung.
Der Fall im Kontext der MWST-Erhöhung 2024
Zusätzliche Relevanz
Seit 1. Januar 2024 gelten erhöhte Mehrwertsteuersätze (Normalsatz 8,1%, reduziert 2,6%), was zu mehr Umstellungsfehlern und erhöhter Sensibilisierung führte. Fehlerhaft berechnete MWST haben grössere wirtschaftliche Auswirkungen, was das Interesse an Korrekturen erhöht.Parallelen zu anderen Urteilen im MWST-Bereich
Rechtsprechungstrend
Der aktuelle Entscheid reiht sich in eine fortschreitende Entwicklung ein, die wirtschaftliche Realität über formale Aspekte stellt – z.B. das Urteil vom 23. Mai 2025 zur Steuerumgehung durch faktische Einheit zweier Einzelunternehmen. Der Paradigmenwechsel im Steuerrecht hin zur materiellen Betrachtung spiegelt internationale Tendenzen zur Bekämpfung der Steuerumgehung wider.
Paradigmenwechsel in der MWST-Praxis
Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts markiert einen Wendepunkt in der schweizerischen MWST-Praxis. Durch die klare Vorgabe, dass nur tatsächlich bezahlte Mehrwertsteuer zum Vorsteuerabzug berechtigt, werden Importeure und Zollagenten ihre Prozesse überprüfen müssen. Besonders bemerkenswert ist die Durchbrechung der 60-Tage-Beschwerdefrist zugunsten der materiellen Steuergerechtigkeit. Unternehmen sollten ihre Einfuhrprozesse kritisch überprüfen und bei Bedarf anpassen.