1. Einführung: Unterschiede zwischen der Schweiz und der EU
Während der Vorsteuerabzug in der Schweiz grundsätzlich unproblematisch ist, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen gemäss Mehrwertsteuergesetz (MWSTG, Art. 28 ff.) erfüllt sind, stellt sich die Situation in der EU deutlich komplexer dar.
In der Schweiz können Unternehmen die bezahlte Einfuhrsteuer (sog. Einfuhrsteuer gem. Art. 52 MWSTG) als Vorsteuer geltend machen, sofern die eingeführten Waren für unternehmerische Zwecke verwendet werden. Dabei gibt es kaum administrative Hürden, und der Abzug erfolgt einfach über die periodische MWST-Abrechnung.
In der EU hingegen gibt es zahlreiche Einschränkungen und Hürden für den Vorsteuerabzug der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt):
- Der Abzug ist nur möglich, wenn das Unternehmen als Importeur in der Zollanmeldung eingetragen ist.
- Nicht-EU-Unternehmen (z. B. Schweizer Firmen) können die Vorsteuer nur über ein separates Erstattungsverfahren (Richtlinie 86/560/EWG, sog. 13. MwSt-Richtlinie) geltend machen.
- In manchen EU-Staaten kann ein steuerlicher Vertreter erforderlich sein.
- Sonderregelungen und nationale Unterschiede erschweren den Abzug zusätzlich.
Damit ist der Vorsteuerabzug in der EU nicht automatisch gewährleistet, sondern von mehreren Faktoren abhängig, die im Folgenden erläutert werden.
2. Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer
Unternehmen, die Waren in die Europäische Union (EU) einführen, müssen in der Regel die Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) entrichten. Diese Steuer wird von den Zollbehörden des jeweiligen Einfuhrlandes erhoben und basiert auf dem Zollwert der Waren, zu dem ggf. Zölle und andere Abgaben hinzukommen.
Gemäss Art. 168 Buchst. e MwStSystRL sowie den nationalen Umsatzsteuergesetzen der EU-Mitgliedstaaten kann die gezahlte Einfuhrumsatzsteuer grundsätzlich als Vorsteuer abgezogen werden, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
3. Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug der Einfuhrumsatzsteuer
Damit ein Unternehmen die gezahlte Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen kann, müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein:
- Steuerpflichtige unternehmerische Tätigkeit: Das Unternehmen muss in einem EU-Mitgliedstaat als umsatzsteuerlicher Unternehmer tätig sein und steuerpflichtige Umsätze ausführen.
- Verwendung für besteuerte Umsätze: Die eingeführten Waren müssen für unternehmerische Zwecke verwendet werden, die zu steuerpflichtigen Umsätzen führen.
- Zollanmeldung im eigenen Namen und Rechnung auf das Unternehmen: Das Unternehmen muss selbst als Importeur in der Zollanmeldung eingetragen sein und den Steuerbetrag selbst entrichten.
- Nachweis durch eine Einfuhrabgabenrechnung oder Steuerbescheid: In den meisten EU-Ländern wird ein Steuerbescheid oder eine Zollabrechnung benötigt, um die Vorsteuer geltend zu machen.
4. Besonderheiten für Nicht-EU-Unternehmen (z. B. Schweizer Firmen)
Schweizer Unternehmen oder andere Drittlandsfirmen, die keine feste Betriebsstätte in der EU haben, können die gezahlte Einfuhrumsatzsteuer in der Regel nicht direkt über eine Umsatzsteuervoranmeldung abziehen. Stattdessen müssen sie das Vorsteuervergütungsverfahren gemäss Richtlinie 86/560/EWG (13. MwSt-Richtlinie) nutzen.
Wichtige Punkte für das Vorsteuervergütungsverfahren:
- Die Antragstellung erfolgt in dem EU-Land, in dem die Einfuhrumsatzsteuer gezahlt wurde.
- Die Frist für die Antragstellung endet am 30. Juni des Folgejahres.
- Es sind Belege wie Zollbescheide, Rechnungen und eine Unternehmerbescheinigung beizufügen.
- Ein steuerlicher Vertreter kann in manchen EU-Staaten erforderlich sein.
5. Fallstricke und Ausschlüsse vom Vorsteuerabzug
In einigen Fällen ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen oder problematisch:
- Fehlende unternehmerische Nutzung: Wird die Ware privat genutzt oder für nicht steuerbare Umsätze (z. B. umsatzsteuerfreie Leistungen) verwendet, entfällt der Vorsteuerabzug.
- Unternehmen als blosser Dienstleister: Falls das Unternehmen lediglich eine logistische oder verzollende Funktion übernimmt, aber die Waren nicht selbst wirtschaftlich nutzt, ist ein Vorsteuerabzug nicht möglich (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juli 2023, V R 13/21).
- Fehlende ordnungsgemässe Belege: Unvollständige oder fehlerhafte Zollpapiere können zum Verlust des Vorsteuerabzugs führen.
6. Vereinfachungen durch das Verfahren der „Aufschiebenden Einfuhrumsatzsteuer“
Einige EU-Staaten bieten Unternehmen die Möglichkeit, die Einfuhrumsatzsteuer direkt über die Umsatzsteuervoranmeldung abzurechnen, anstatt sie vorab an den Zoll zu zahlen.
Beispiele für solche Verfahren:
- Deutschland: Keine generelle Aufschiebung, aber Import One-Stop-Shop (IOSS) für E-Commerce.
- Niederlande: Artikel 23 Lizenz, die es ermöglicht, die EUSt nur buchhalterisch zu erfassen.
- Frankreich: Automatische Verzollung mit umsatzsteuerlicher Erfassung in der Voranmeldung.
Diese Regelungen sind besonders für Schweizer Exporteure mit regelmässigen Lieferungen in die EU von Vorteil.
7. Praktische Empfehlungen für Schweizer Unternehmen
- Eigene umsatzsteuerliche Registrierung in der EU prüfen: Falls regelmässig Waren in die EU eingeführt werden, kann eine eigene MwSt-Identifikationsnummer sinnvoll sein.
- Vorsteuervergütungsverfahren rechtzeitig beantragen: Falls keine MwSt-Registrierung besteht, sollte der Antrag bis zum 30. Juni des Folgejahres gestellt werden.
- Alternativen zur klassischen Verzollung nutzen: Möglichst von Aufschubregelungen profitieren, um die Liquidität zu schonen.
- Korrekte Dokumentation sicherstellen: Rechnungen, Zollbelege und Nachweise sorgfältig archivieren, um den Vorsteuerabzug nicht zu gefährden.
8. Fazit
Die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs der Einfuhrumsatzsteuer hängt stark von der jeweiligen Situation des Unternehmens ab. Während EU-Unternehmen die Steuer meist problemlos über die Umsatzsteuervoranmeldung abziehen können, müssen Drittlandsunternehmen das Vorsteuervergütungsverfahren nutzen. Eine vorausschauende Steuerplanung kann Liquiditätsnachteile verhindern und die steuerliche Abwicklung vereinfachen.
Quellen und weiterführende Links
- Mehrwertsteuergesetz (MWSTG) Schweiz: https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/599/de
- Umsatzsteuer-Anwendungserlass Deutschland: https://usth.bundesfinanzministerium.de/usth/2022/A-Umsatzsteuergesetz/IV-Steuer-und-Vorsteuer/Paragraf-15/ae-15-8.html
- 13. MwSt-Richtlinie (86/560/EWG): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A31986L0560
- BFH-Urteil V R 13/21: https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202310289/