Veredelungsverfahren bei verlängerter Werkbank: Anwendung, Unterschiede und organisatorische Aspekte
1. Einleitung
Die fortschreitende Globalisierung und Spezialisierung in der Industrie führen vermehrt zu grenzüberschreitenden Fertigungs- oder Bearbeitungsprozessen. Ein klassisches Beispiel ist die sogenannte verlängerte Werkbank, bei der bestimmte Produktions- oder Veredelungsschritte ins Ausland verlagert werden. Dieser Fachbericht erläutert, wann ein Veredelungsverfahren (Inward Processing/Outward Processing) sinnvoll bzw. notwendig ist, welche Unterschiede zwischen der Schweiz und der EU bestehen und warum das Thema oft in der Schweiz vernachlässigt wird. Ausserdem werden organisatorische Aspekte sowie die Bedeutung klarer Zuständigkeiten bei der Zollabwicklung beleuchtet.
2. Was ist ein Veredelungsverfahren?
Unter einem Veredelungsverfahren versteht man ein Zollverfahren, das es ermöglicht, Waren vorübergehend ausserhalb oder innerhalb eines Zollgebiets zu bearbeiten, zu veredeln oder weiterzuverarbeiten, ohne dass gleich bei jeder Warenbewegung endgültige Zölle und Steuern anfallen. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Hauptvarianten:
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Aktive Veredelung (Inward Processing)
Hierbei werden Nicht-Unionswaren (in der EU) oder Waren von ausserhalb des Schweizer Zollgebiets in das Zollgebiet eingeführt, um sie zu bearbeiten oder zu veredeln, und anschliessend wieder auszuführen. Zölle und Steuern werden ausgesetzt oder erstattet. -
Passive Veredelung (Outward Processing)
Dabei werden Waren aus dem Zollgebiet ausgeführt (z. B. aus der Schweiz) und im Ausland verarbeitet oder veredelt. Wenn diese Ware später wieder zurückgeführt wird, werden nur die aufgewerteten Komponenten und Bearbeitungskosten verzollt bzw. besteuert.
In beiden Fällen dient das Veredelungsverfahren dazu, finanzielle Belastungen (Zölle, Mehrwertsteuer) zu optimieren oder zu vermeiden, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind und das Verfahren ordnungsgemäss beantragt und überwacht wird.
3. Veredelungsverfahren in der Schweiz – warum oft nicht genutzt?
In der Schweiz hat das Veredelungsverfahren vergleichsweise wenig Bedeutung. Das liegt vor allem an folgenden Gründen:
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Abschaffung der Industriezölle: Seit dem 1. Januar 2024 sind Industriezölle in der Schweiz abgeschafft. Damit entfällt ein wichtiger Kostentreiber bei der Einfuhr von Industriewaren.
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Vorsteuerabzugsrecht bei der Mehrwertsteuer: Schweizer Unternehmen können in den meisten Fällen die anfallende Einfuhrsteuer als Vorsteuer geltend machen und so die finanzielle Belastung minimieren.
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Vergleichsweise einfache Zollabwicklung: Die Schweiz hat relativ schlanke Zollprozesse. Dadurch ist ein spezielles Verfahren – wie etwa die aktive oder passive Veredelung – für viele Branchen und Unternehmen nicht mehr zwingend notwendig oder bringt kaum Kostenvorteile.
Anders sieht es bei hoch zollbelasteten Produkten wie Lebensmitteln aus. Hier kann ein Veredelungsverfahren durchaus sinnvoll sein, um die Zollbelastung zu reduzieren.
Viele Schweizer Unternehmen, die Lohnfertigung oder Teilprozesse im Ausland durchführen lassen, verzichten daher auf ein formales Veredelungsverfahren und deklarieren stattdessen den (Rück-)Import regulär, zumal die steuerliche Belastung durch die Vorsteuerabzugsmöglichkeit minimiert wird.
4. Unterschiede in der EU – höhere Zölle und kein Vorsteuerabzug
In der Europäischen Union ist die Situation oft anders:
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Höhere Aussenzölle: Für bestimmte Warengruppen – insbesondere für Industriegüter, Textilien, Agrarprodukte etc. – können deutlich höhere Zollsätze gelten als in der Schweiz.
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Kein automatischer Vorsteuerabzug: Anders als im Schweizer System, wo Einfuhrsteuern häufig als Vorsteuer geltend gemacht werden können, entsteht in vielen EU-Ländern für die importierenden Firmen im Veredelungsverkehr oft keine direkte Möglichkeit, die Einfuhrumsatzsteuer sofort als Vorsteuer abzuziehen.
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Komplexere Zollregelungen: Die EU vereint 27 Mitgliedsstaaten unter dem Dach der Zollunion. Die Zollverfahren sind zwar durch den Unionszollkodex (UZK) harmonisiert, doch nationale Unterschiede in der Umsetzung oder bei Steuern existieren. Dies macht eine sorgfältige Planung erforderlich.
7. Fazit
Ein Veredelungsverfahren bietet die Möglichkeit, Zölle und Steuern beim grenzüberschreitenden Bearbeiten oder Veredeln von Waren zu sparen. In der Schweiz ist dieses Verfahren oft weniger relevant, während es in der EU essenziell sein kann. Eine frühzeitige Planung und Abstimmung zwischen den Parteien ist entscheidend, um Haftungsrisiken zu vermeiden und Kostenvorteile zu nutzen.
Rechtsgrundlagen für den Veredelungsverkehr in der Schweiz:
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Zollgesetz (ZG, SR 631.0):
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Aktive Veredelung: Artikel 12, 59
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Passive Veredelung: Artikel 13, 60, 132 Absatz 7
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Zollverordnung (ZV, SR 631.01):
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Aktive Veredelung: Artikel 40–44, 165–170
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Passive Veredelung: Artikel 45–49, 171–173
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Verordnung des EFD über die Zollveranlagung (SR 631.016):
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Aktive Veredelung: Artikel 1, 3–6
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Passive Veredelung: Artikel 2
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Zollverordnung des BAZG (SR 631.013):
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Aktive und Passive Veredelung: Artikel 56, 57, Anhang
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Diese Rechtsgrundlagen regeln die Verfahren der aktiven und passiven Veredelung in der Schweiz. Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG):
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Veredelungsverkehr allgemein: https://www.bazg.admin.ch/bazg/de/home/information-firmen/zollverfahren/veredelungsverfahren.html
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Aktive Veredelung: https://www.bazg.admin.ch/bazg/de/home/information-firmen/zollverfahren/veredelungsverfahren/aktive-veredelung.html
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Passive Veredelung: https://www.bazg.admin.ch/bazg/de/home/information-firmen/zollverfahren/veredelungsverfahren/passive-veredelung.html