Hintergrund der US-Liste
Die Regierung der USA hat die Schweiz auf eine neue Liste von Ländern mit angeblich „unfairen“ Handelspraktiken gesetzt. Diese Massnahme erfolgt im Zuge von Präsident Donald Trumps „America First“-Handelspolitik, die eine Überprüfung ausländischer Handelspraktiken vorsieht. Der von Trump ernannte Handelsdelegierte Jamieson Greer forderte US-Unternehmen dazu auf, ihm unfaire Handelsmethoden von Partnerländern zu melden – mit besonderem Fokus auf G20-Staaten und Ländern mit hohen Handelsüberschüssen gegenüber den USA. In einem offiziellen Aufruf zu Stellungnahmen nannte das US-Handelsbüro (USTR) ausdrücklich grosse Handelsnationen wie die G20 sowie die Schweiz als Länder mit den grössten Überschüssen im Warenhandel mit den USA . Die Einstufung der Schweiz auf dieser Beobachtungsliste wurde von Helene Budliger Artieda, Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), in einem Interview bestätigt.
Derzeit hat das Büro des US-Handelsbeauftragten (USTR) eine Überprüfung ausländischer Handelspraktiken angekündigt, um unfaire Praktiken zu identifizieren. Allerdings wurde noch keine spezifische Liste der betroffenen Länder veröffentlicht. Sobald die Überprüfung abgeschlossen ist und eine Liste verfügbar gemacht wird, wird sie voraussichtlich auf der offiziellen Website des USTR unter https://ustr.gov/ veröffentlicht.
Die USA veröffentlichen am 2. April zudem neue Zollankündigungen – und es deutet sich an, dass zunächst nur eine begrenzte Zahl von Ländern betroffen sein wird. Dennoch dürfte die Massnahme weitreichende Auswirkungen haben. Im Zentrum stehen die sogenannten „schmutzigen Fünfzehn“ – Länder, mit denen die USA ein besonders hohes Handelsbilanzdefizit verzeichnen. Auch die Schweiz steht auf dieser Liste.
Brisant ist: Es sind nicht nur Industriezölle, die im Fokus stehen – diese wurden hierzulande weitgehend abgebaut. Problematisch sind vielmehr die im internationalen Vergleich hohen Zölle der Schweiz im Agrarbereich. Zwar äussert sich die US-Regierung nicht explizit zur Schweizer Landwirtschaft, doch es ist allgemein bekannt, dass hier im internationalen Vergleich Schutzmechanismen bestehen.
Zu den „schmutzigen Fünfzehn“ zählen: China, Mexiko, Vietnam, Deutschland, Japan, Irland, Kanada, Südkorea, Taiwan, Italien, Indien, Thailand, Malaysia, Indonesien – und die Schweiz.
Diese Länder machen laut Analyse einen erheblichen Teil des US-Warenhandels aus – mit zum Teil massiven Defiziten auf amerikanischer Seite. China etwa liegt mit -279,1 Milliarden USD an der Spitze, gefolgt von Mexiko und Vietnam. Die Schweiz weist ein US-Handelsdefizit von -24,5 Milliarden USD auf – im Vergleich kleiner, aber dennoch relevant.
Die kommenden Wochen könnten zeigen, wie ernst es den USA mit ihrer protektionistischen Handelspolitik ist – und welche Rolle die Schweiz darin spielt.
Die Schweiz wird sich nicht an einem Handelskrieg beteiligen, ist aber mittendrin.
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Gründe für die Einstufung der Schweiz
Als Hauptgrund für die Aufnahme der Schweiz nennt Washington die stark positive Schweizer Handelsbilanz im Güterhandel mit den USA . Aufgrund dieses deutlichen Warenhandelsüberschusses erscheint die Schweiz auf der US-Liste der Länder mit vermeintlich unfairen Methoden. Nach Aussage von Staatssekretärin Budliger Artieda hat die Schweiz eine durchweg positive Waren-Handelsbilanz gegenüber den USA und fällt deshalb unter die Kriterien der Liste. Tatsächlich zählt die Schweiz aus US-Sicht zu den Ländern, mit denen die USA das grösste Handelsdefizit bei Gütern aufweisen . Andere Länder mit ähnlichem Überschuss – etwa grosse Volkswirtschaften der G20 – wurden ebenfalls ins Visier genommen. Konkrete Vorwürfe im Sinne spezifischer unfairer Praktiken (z.B. Subventionen oder Marktabschottung) wurden bislang nicht öffentlich genannt; die ungleichgewichtige Handelsbilanz dient primär als Kriterium für die Beobachtung.
Mögliche wirtschaftliche Folgen
Unklar ist derzeit, welche wirtschaftlichen Konsequenzen die Listung nach sich ziehen wird. Die Aufnahme auf die „Unfairen-Methoden“-Liste an sich hat keine unmittelbare rechtliche Wirkung, könnte jedoch Vorstufe zu handelspolitischen Massnahmen sein. So prüft die US-Regierung im Rahmen der neuen Handelspolitik verschiedene Strafmassnahmen, um hohe Handelsdefizite zu reduzieren . Ob auf Basis dieser Liste tatsächlich US-Strafzölle oder andere Schritte gegen die Schweiz folgen, ist laut economiesuisse noch offen.
Dennoch warnen Experten vor möglichen Risiken für die exportorientierte Schweizer Wirtschaft. Sollte die US-Regierung Handelshürden einführen, könnten Schweizer Exporte – etwa Pharmazeutika, Maschinen oder Uhren – in den USA teurer und weniger wettbewerbsfähig werden. Ein Beispiel ist die von Präsident Trump ins Spiel gebrachte Strafabgabe von 25 % auf Medikamentenimporte, die die Schweizer Pharmaindustrie empfindlich treffen würde. Medikamente zählen zu den wichtigsten Schweizer Exportgütern in die USA, sodass solche Zölle die Branche belasten könnten. Allgemein könnten verschärfte Handelsbarrieren oder Gegenzölle das bilaterale Handelsvolumen dämpfen und für Unsicherheit bei Schweizer Unternehmen sorgen. Da die Schweiz eine kleine, offene Volkswirtschaft ist, wäre sie von einer Eskalation globaler Handelskonflikte überproportional betroffen, was sich negativ auf Wachstum und Arbeitsplätze auswirken könnte.
Reaktion der Schweizer Regierung
Die Schweizer Regierung weist den impliziten Vorwurf „unfairer“ Praktiken entschieden zurück und betont die Offenheit des Schweizer Marktes. Staatssekretärin Helene Budliger Artieda machte deutlich: „Man kann uns sicher nicht vorwerfen, unfair zu sein“ . Sie und Wirtschaftsvertreter verweisen auf mehrere Punkte, die zeigen, dass die Schweiz fairen Handel betreibt:
• Niedrige Zölle: Die Schweiz hat zum 1. Januar 2024 einseitig alle Industriezölle abgeschafft und erhebt insgesamt deutlich niedrigere Importzölle als die USA . Auch Pharmaprodukte können zollfrei in die Schweiz eingeführt werden – amerikanische Unternehmen exportieren z.B. Arzneimittel ohne Tarifbarrieren in die Schweiz.
• Offener Markt und Investitionen: Schweizer Firmen sind stark in den USA engagiert. Die Schweiz rangiert auf Platz 6 der ausländischen Investoren in den Vereinigten Staaten und sogar auf Platz 1 bei Investitionen in Forschung & Entwicklung . Schweizer Unternehmen haben in den USA fast eine halbe Million Jobs geschaffen, mit sehr hohen Durchschnittslöhnen von rund 131ʼ000 Dollar pro Stelle. Dieses Engagement kommt der US-Wirtschaft direkt zugute.
• Ausgeglichenerer Gesamthandel: Im Dienstleistungssektor haben die USA einen grossen Überschuss gegenüber der Schweiz . Das bedeutet, dass die USA durch Finanzdienstleistungen, Lizenzen, Tourismus usw. erheblich mehr aus der Schweiz einnehmen als umgekehrt – ein Faktor, der die Warenhandelsdefizite teilweise ausgleicht.
Mit diesen Argumenten versucht die Schweiz, Washington gegenüber ihre Handelspraktiken zu verteidigen. Budliger Artieda betonte, man erfülle faktisch viele Forderungen der USA nach Marktzugang bereits freiwillig: „Wir machen schon lange genau das, was sich Präsident Trump wünscht“, sagte sie mit Verweis auf die weitgehende Marktöffnung. Ob die US-Regierung diese Argumente anerkennt, ist allerdings noch unklar: „In den ersten Wochen wurden so viele Dekrete erlassen, dass selbst in den USA niemand den Überblick hat. Im Moment ist es unberechenbar“, so Budliger Artieda zur Lage.
Strategisch signalisiert die Schweiz Dialogbereitschaft, um einen Konflikt zu entschärfen. Vergeltungsmassnahmen schliesst Bern aus: „Die Schweiz wird sich nicht an einem Handelskrieg beteiligen“, stellte Budliger Artieda klar . Angesichts der geringen Marktgrösse der Schweiz wäre etwa ein symbolischer Zoll auf US-Produkte wie Harley-Davidson-Motorräder kein wirksames Druckmittel . Stattdessen setzt die Schweizer Regierung auf diplomatische Lösungen. Man sucht den direkten Austausch mit der neuen US-Administration und prüft Möglichkeiten für Gespräche über ein Freihandelsabkommen . Bereits im Februar hatte Budliger Artieda darauf gedrängt, „so bald wie möglich“ Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen aufzunehmen. Dies könnte die Handelsbeziehungen auf eine konstruktive Basis stellen und helfen, Zollkonflikte (z.B. bei Medikamenten) zu vermeiden.
Zugleich koordiniert sich die Schweiz mit der Europäischen Union. Sollte es zwischen den USA und der EU zu einem neuen Schlagabtausch mit Strafzöllen kommen, will die Schweiz nicht erneut in Mitleidenschaft gezogen werden. In Trumps erster Amtszeit war die Schweiz von EU-Gegenzöllen mitbetroffen, da Brüssel sie als Drittstaat ohne Sonderstatus behandelte. Deshalb steht Bern nun mit der EU im Gespräch und weist darauf hin, dass Gegenzölle, die auch die Schweiz treffen, kontraproduktiv wären – etwa im Hinblick auf die aktuellen Bestrebungen für neue bilaterale Abkommen . Durch diese diplomatischen Bemühungen und sachlichen Argumente hofft die Schweiz, von Washington nicht als unfairer Handelspartner angesehen zu werden und wirtschaftliche Nachteile abwenden zu können.
Quellen:
Offizielle Aussagen von Seco-Direktorin Helene Budliger Artieda ; Schweizer Medienberichte (SRF, Handelszeitung, cash); Stellungnahme von economiesuisse ; USTR Federal Register Notice der US-Regierung ; Blue News/Keystone-SDA-Berichte.