Section 232: Handelsinstrument mit geopolitischer Sprengkraft
Reziproke Zölle sind laut – Section 232 ist leise, aber gefährlicher
Im aktuellen geopolitischen Klima sorgen vor allem gegenseitige Strafzölle für Schlagzeilen – doch sie sind nicht das eigentliche Risiko für internationale Handelspartner der USA. Zwar können die Auswirkungen solcher Massnahmen erheblich sein und ihre Umsetzung chaotisch verlaufen, doch im Vergleich zur neuen Generation von Handelsinstrumenten wirken sie fast durchschaubar. Die wahre Herausforderung liegt in der zunehmenden Nutzung strategischer, scheinbar rechtlich unangreifbarer Massnahmen, insbesondere jener, die unter dem Banner der nationalen Sicherheit firmieren.
Ein Paradebeispiel dafür ist Section 232 des US-Handelsrechts. Dieses Instrument wird genutzt, um gezielt Importe aus ganzen Produktkategorien zu beschränken – weitgehend immun gegenüber handelsrechtlichen Einsprüchen. Während die Debatte um Zölle den politischen Diskurs bestimmt, formiert sich hier im Hintergrund ein tiefergehender, strukturverändernder Handelskonflikt, der auf lange Sicht gravierendere ökonomische Folgen haben könnte.
2. Was ist Section 232?
Section 232 des Trade Expansion Act von 1962 erlaubt es dem US-Präsidenten, Massnahmen zu ergreifen – zumeist Zölle oder Quoten – wenn Importe als Bedrohung der nationalen Sicherheit eingestuft werden. Die Grundlage bildet eine Untersuchung des US-Handelsministeriums (Department of Commerce), deren Ergebnisse direkt zu weitreichenden Handelsmassnahmen führen können.
Die Anwendung dieses Instruments hat in den letzten Jahren massiv zugenommen – mit spürbaren Effekten für die internationale Wirtschaft.
3. Zunehmende Ausweitung: Neue Produkte im Visier
Was ursprünglich mit Stahl und Aluminium begann, hat sich zu einem breit angelegten System wirtschaftlicher Abschottung unter Sicherheitsvorwand entwickelt. Aktuell umfasst Section 232 folgende Kategorien:
Bereits betroffen sind beispielsweise:
- Stahl und Aluminium (inkl. Derivate)
- Fahrzeuge (inkl. Autos und Autoteile, mit neuen Massnahmen ab 2. Mai 2025)
- LKW und LKW-Teile
Gegenstand laufender oder geplanter Untersuchungen:
- Kritische Mineralien (z. B. Lithium, Kobalt, seltene Erden)
- Halbleiter und elektronische Komponenten
- Pharmazeutika
- Holzprodukte
- Kupfer und Kupferlegierungen
- Erweiterte Fahrzeugteile und Derivate
Diese Untersuchungen erfolgen ohne vorhersehbare Fristen oder transparente Entscheidungswege. Die Produktlisten sind oft umfangreich und schwer vorhersehbar.
4. Implikationen für Handelspartner
A. Wirtschaftliche Auswirkungen
- Exportverluste durch abrupte Zollregelungen und steigende Kosten
- Störung globaler Lieferketten, insbesondere in Branchen mit enger transatlantischer oder transpazifischer Vernetzung
- Planungsunsicherheit für Unternehmen, da Untersuchungen oft kurzfristig erfolgen und Ergebnisse nicht vorhersagbar sind
B. Politische Dimension
- Der Verweis auf nationale Sicherheit entzieht Section 232 faktisch jeder WTO-Kontrolle – ein Bruch mit der bisherigen globalen Handelsordnung.
- Für internationale Partner wie die EU, Kanada oder Japan ergibt sich ein Dilemma: Kooperation oder Konfrontation, beides mit politischem und wirtschaftlichem Risiko behaftet.
5. Kritik und internationale Reaktionen
Internationale Wirtschaftsakteure und Juristen warnen vor dem Missbrauch des Sicherheitsbegriffs. Kritische Stimmen betonen:
- Die Gefahr eines Systembruchs im Welthandel, da andere Länder dem Beispiel folgen könnten.
- Die Intransparenz und Unberechenbarkeit der Untersuchungen.
- Die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien im globalen Handel durch eine einseitige Machtverschiebung.
Die EU hat darauf mit Gegenzöllen und WTO-Klagen reagiert, jedoch mit begrenztem Erfolg – nicht zuletzt, da Section-232-Massnahmen sich gezielt auf WTO-Ausnahmeregelungen berufen.
6. Fazit und Handlungsempfehlungen
Für betroffene Länder und Unternehmen:
- Frühwarnsysteme und Handelsüberwachung implementieren, um neue Untersuchungen früh zu erkennen
- Lieferketten diversifizieren und alternative Absatzmärkte entwickeln
- Proaktive Diplomatie und gezielte Wirtschaftsallianzen aufbauen (z. B. G7, bilaterale Handelsverträge)
Langfristig:
Es braucht eine neue internationale Debatte über die Definition von „nationaler Sicherheit“ im Handel. Ohne Reformen besteht das Risiko, dass Section 232 als Blaupause für neue Formen von Protektionismus weltweit dient – mit tiefgreifenden Folgen für Wohlstand, Stabilität und die regelbasierte Ordnung.