Was passiert, wenn deutsche Unternehmen für Ausfuhren Vorkasse nehmen – und nach späterem Sanktionsverdacht weder liefern noch den Vorschuss zurückzahlen dürfen? Jüngste Entwicklungen auf europäischer Ebene sowie nationale Gerichtsentscheidungen rücken diese komplexe Frage ins Zentrum. Wir beleuchten, wie Gerichte und Behörden mit Rückzahlungsverpflichtungen im Lichte von Sanktionsvorgaben umgehen – und was dies für Ihre Vertriebspraxis bedeutet.
Neue EU-Sanktionspolitik, Verwaltungsstandpunkte und Gerichtsurteile – das sollten Vertriebsmitarbeiter und Exporteure jetzt wissen
Anzahlung erhalten, Ware sanktioniert: Ist eine Rückzahlung trotz Sanktionen möglich? Aktuelle Leitplanken zum Umgang mit Vorkasse bei Exportverboten
Der Fall aus der Praxis: Wenn Export und Sanktion kollidieren
Ein deutscher Zulieferer erhält Vorkasse für Flugzeugersatzteile. Doch nach Zahlungseingang entstehen Zweifel an der Endverwendung: Es besteht der Verdacht, dass der serbische Käufer die Ware womöglich nach Russland weiterleitet. Um mögliche Sanktionsverstösse zu vermeiden, verweigert der Händler die Auslieferung – und ebenso die Rückzahlung der Anzahlung. Der Streit eskaliert und landet beim Landgericht Mainz. Der Fall verdeutlicht, wie schnell gewöhnliche Transaktionen durch geopolitische Veränderungen zu juristisch schwierigen Ausnahmefällen werden.Rechtslage und Behördliche Vorgaben: EU-Verordnung und Deutsche Verwaltungspraxis, an der sich die Schweiz ausrichten kann
Die massgebliche Vorgabe liefert die Verordnung (EU) 833/2014, insbesondere Artikel 11, der nicht nur die Lieferung, sondern auch jede Erfüllung aus sanktionierten Kaufverträgen untersagt. Seit April 2023 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) seine FAQs dazu angepasst: Auch Rückzahlungen von Anzahlungen für mittlerweile verbotene Geschäfte sind untersagt – eine Kehrtwende zur bisherigen Auslegung. Die neue Praxis gilt auch für Garantiezahlungen und ist unionsweit verbindlich. Darunter fällt also nicht nur die Vertragsdurchführung, sondern auch jede Form der Rückgewähr von Vorauszahlungen, sobald der Kaufvertrag nachträglich unter ein Verbot fällt.„Verboten ist nach dem Wortlaut der Bestimmung die Erfüllung sämtlicher Ansprüche, die im Zusammenhang mit mittlerweile sanktionierten Geschäften stehen. Die Rückzahlung einer Anzahlung, die darauf abzielt, eine Rechtsbeziehung in den Zustand vor Sanktionsverhängung (status quo ante) zu versetzen, ist vor diesem Hintergrund rechtlich unzulässig. Das gilt entsprechend auch für Zahlungsansprüche aus Anzahlungsgarantien.“
Gerichtsurteile und Präzedenzfälle: Von Iran- zu Russland-Sanktionen
Die Judikatur entwickelt sich dynamisch: Während das OLG Frankfurt 2024 im Fall Iran urteilte, dass EU-Firmen trotz US-Sanktionen Vorauszahlungen an iranische Abnehmer zurückzahlen müssen, stellen die Gerichte bei Russland-Sanktionen striktere Anforderungen. Nach jüngster Spruchpraxis unterliegt die Rückzahlung aus einem gemäss Art. 3k Verordnung (EU) 833/2014 sanktionierten Kaufvertrag selbst dem Erfüllungsverbot. Die Rückzahlung durch einen europäischen Händler an einen von Sanktionen erfassten Vertragspartner ist somit europarechtlich ausgeschlossen – unabhängig von Moral oder Verantwortlichkeit der Beteiligten.Urteilsübersicht Sanktionen
| Fall | Rückzahlung möglich? | Begründung |
|---|---|---|
| Iran | Ja | EU-Blocking-VO verbietet die Entziehung juristischer Ansprüche durch Sanktionsbezug |
| Russland | Nein | Erfüllungsverbot gemäss Art. 11, Nr. 1a, EU 833/2014 betrifft jede Erfüllung aus sanktionierten Verträgen |
Praktische Folgen: Beweislastumkehr, Unsicherheit und wirtschaftliches Risiko
Der neue Umgang mit Anzahlungen bringt gravierende Folgen mit sich. Erstens verkehrt sich die Beweislast: Der Käufer muss nachweisen, dass keine Weiterleitung in ein Sanktionsland geplant war – was häufig kaum möglich ist. Zweitens erleben Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Unsicherheiten: Weder Lieferung noch Rückzahlung sind zulässig, wodurch Rückstellungen für Altverträge nötig werden. Drittens werden aus Standardaufträgen plötzlich langwierige juristische Auseinandersetzungen. Insbesondere im Vertrieb wird aus dem Exporteur notgedrungen ein Überwacher von Sanktionsvorgaben.Strategien im Vertrieb: Compliance und Vertragsgestaltung heute
Um zukünftige Risiken abzufedern, sollten Unternehmen klare Sanktionsklauseln in neue Verträge aufnehmen und Endverwendungsnachweise bereits vor Annahme von Zahlungen einfordern. Anzahlungen sind intern wie Fremdkapital zu behandeln, bis eine sanktionsfreie Lieferung nachweislich möglich ist. Zusätzlich empfiehlt es sich, laufend die aktuellen behördlichen FAQ und die einschlägige EU-Rechtslage zu beobachten, um auf Änderungen frühzeitig reagieren zu können.Blick auf die Zukunft: Die Rolle des EuGH und offene Rechtsfragen
Die Grundsatzfrage, ob und unter welchen Bedingungen eine Anzahlung zurückgezahlt werden darf, prüft nun der Europäischen Gerichtshof (EuGH). Von diesem Urteil wird eine Rahmengesetzgebung erwartet, die für viele Jahre als Richtschnur im Exportrecht dienen dürfte, auch für Schweizer Unternehmen. Insbesondere die Trennschärfe zwischen blossem Verdacht auf Sanktionsumgehung und belastbaren Beweisen wird für die Praxis entscheidend sein. Unternehmen sind gut beraten, das kommende Urteil genau zu analysieren und ihre Vertriebsstrategie entsprechend auszurichten. Quellen und empfohlene Links: https://www.bundestag.de/resource/blob/1027408/3ed926716987e9ff1a7999a21e7574ab/EU-6-042-24-pdf.pdf / https://datenbank.nwb.de/Dokument/1064385/ / https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE2024501. / https://curia.europa.eu/juris/showPdf.jsf;jsessionid=D9D43EE549FAAAAFDB2EAFB12B843E10?text=&docid=300844&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1Fazit und Handlungsempfehlungen
Die Rückzahlung von Anzahlungen bei sanktionierten Geschäften ist nach aktueller Rechtslage in der EU grundsätzlich verboten. Unternehmen müssen nun präventiv handeln und Verträge sowie Prozesse anpassen, um Compliance-Risiken zu minimieren. Nur eine gewissenhafte Vertragsgestaltung und ein frühzeitiges Einholen von Endverwendungsnachweisen ermöglichen Rechtssicherheit im internationalen Handel.