Die jüngsten Entwicklungen im internationalen Zollgeschehen zeigen einmal mehr, wie stark handelspolitische Maßnahmen sowohl von wirtschaftlicher Notwendigkeit als auch von politischer Inszenierung geprägt sind. In mehreren Bereichen zeichnen sich aktuell Veränderungen ab, die zwar medienwirksam präsentiert werden, deren reale Tragweite jedoch differenziert betrachtet werden muss.
USA–China: Vorläufige Entspannung mit vielen Vorbehalten
Die USA und China haben sich auf eine befristete Reduzierung gegenseitiger Zölle geeinigt. Für einen Zeitraum von 90 Tagen werden die bisherigen Strafzölle – die in beiden Richtungen schwindelerregende Höhen betrugen – auf 10 % gesenkt. Diese temporäre Maßnahme ist als Teil eines Zwischenabkommens zu verstehen, das öffentlich als bedeutender Schritt dargestellt wird, in seiner Substanz aber viele Einschränkungen aufweist:
- Ein Fentanyl-bezogener Sonderzoll von 20 % bleibt für alle chinesischen Waren bestehen.
- Die Maßnahmen nach Abschnitt 301 sowie potenzielle Anti-Dumping- (AD) und Ausgleichszölle (CVD) bleiben unverändert bestehen.
- Zölle gemäß Abschnitt 232 auf Stahl, Aluminium, deren Derivate sowie auf Fahrzeuge und Fahrzeugteile sind von der aktuellen Reduzierung ausgenommen und verbleiben weiterhin bei 25 %.
Diese vorläufige Entspannung ist daher weniger als umfassende Lösung, sondern eher als taktische Atempause im langwierigen Handelskonflikt zu verstehen.
Pharmazölle in Vorbereitung
Parallel dazu kündigen sich auch im Gesundheitssektor relevante Änderungen an. Die sogenannten Pharmazölle wurden in offiziellen Mitteilungen mit dem Vermerk „in den nächsten zwei Wochen kommend“ versehen. Diese stehen im Zusammenhang mit einer neuen Durchführungsverordnung, welche die Preise für Arzneimittel senken soll. Unternehmen, die diesen Anforderungen nicht nachkommen, könnten künftig mit zusätzlichen Zöllen belegt werden. Die konkrete Umsetzung bleibt abzuwarten, doch es zeichnet sich ab, dass Zollinstrumente zunehmend auch zur Umsetzung binnenwirtschaftlicher Regulierungsziele herangezogen werden.
UK–USA: Absichtserklärung statt Freihandelsabkommen
Zudem sorgt ein weiteres zollpolitisches Thema für Aufmerksamkeit: die medienwirksam inszenierte Einigung zwischen dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten. Zwar wurde öffentlich von einem „Handelsabkommen“ gesprochen, in der Substanz handelt es sich jedoch um eine Absichtserklärung, die inhaltlich deutlich hinter einem klassischen Freihandelsabkommen zurückbleibt.
Tatsächlich wurden einige Zölle gesenkt – u. a. profitieren britische Autohersteller, da künftig rund 100.000 Fahrzeuge mit reduzierter Zollbelastung in die USA exportiert werden können. Auch Erleichterungen für Stahl und Ethanol wurden vereinbart. Ein umfassendes Handelsabkommen mit langfristiger rechtlicher Bindung ist dieses Abkommen jedoch nicht. Vielmehr handelt es sich um eine symbolische Maßnahme, die vor allem auf kurzfristige politische Wirkung zielt.
Interview: Strafzölle gezielt umgehen – Strategien für Unternehmen 2025
Frage 1: Viele Unternehmen stehen weiterhin unter Druck durch Strafzölle – wie kann man kurzfristig reagieren?
Antwort: Eine kurzfristige und zugleich legale Strategie ist die Nutzung sogenannter bonded warehouses – also Zollfreilager – etwa in den USA, Mexiko oder Kanada. Diese Lager ermöglichen es Unternehmen, Waren zollfrei einzuführen, zwischenzulagern oder zu veredeln, bevor sie endgültig verzollt oder wieder ausgeführt werden. Das schafft Flexibilität: Zölle werden erst fällig, wenn das Produkt in den US-Markt gelangt – oder gar nicht, wenn es wieder exportiert wird. In Mexiko und Kanada nutzen vor allem US-nahe Hersteller das, um auf Abruf oder je nach Marktlage zu entscheiden, ob sie verzollen oder nicht.
Frage 2: Was sind aktuelle Trends bei der Verlagerung von Produktionsstandorten als Zollstrategie?
Antwort: Viele Unternehmen verlagern Produktionsschritte gezielt in Länder mit US-Freihandelsabkommen – etwa Mexiko (USMCA), Vietnam oder Malaysia. Gerade Mexiko profitiert stark: Laut einer Studie von Kearney aus 2024 haben über 20 % der US-Unternehmen Teile ihrer Produktion dorthin verlagert. So können „Made in Mexico“-Produkte zollfrei in die USA importiert werden, vorausgesetzt, die Ursprungsregeln des USMCA werden erfüllt.
Frage 3: Welche Rolle spielen Herkunftsangaben und Ursprungsregeln konkret?
Antwort: Eine sehr große. Selbst wenn ein Produkt in Mexiko zusammengebaut wird, heißt das nicht automatisch, dass es den präferenziellen Ursprungsstatus bekommt. Der Anteil lokaler Wertschöpfung und die Transformation müssen dokumentiert sein. Unternehmen sollten also frühzeitig eine präzise Ursprungskalkulation durchführen und mit Zoll- und Außenhandelsexperten zusammenarbeiten – ein Fehler hier kann teuer werden.
Frage 4: Gibt es strategische Möglichkeiten, Lieferketten so zu strukturieren, dass Zölle vermieden werden?
Antwort: Ja. Neben bonded warehouses lohnt sich der Aufbau sogenannter Free Trade Zones (FTZs) in den USA selbst. Dort können Unternehmen importierte Komponenten zollfrei lagern oder verarbeiten – und zahlen Zölle erst auf das fertige Endprodukt, oft zu einem niedrigeren Satz. Das ist besonders attraktiv in der Elektronik- oder Automobilindustrie. Zudem können Unternehmen bewusst Teile in zollbegünstigte Länder splitten – z. B. Rohstoffe aus Südamerika über Kanada weiterverarbeiten lassen, um Ursprungsregeln zu erfüllen.
Frage 5: Welche Rolle spielen Kanada und Mexiko neben der Produktion?
Antwort: Neben Produktionsverlagerung dienen beide Länder zunehmend als logistische Zollpuffer. Unternehmen nutzen dort in-transit warehousing, also Zwischenlager, um auf Marktbedingungen zu reagieren. Besonders im kanadischen Toronto und mexikanischen Monterrey entstehen neue Logistikzentren, die auch für E-Commerce-Retouren oder Re-Exporte dienen. Kanada bietet zusätzlich steuerliche Vorteile für Lagerhaltung und Verpackung.
Zusatzfrage: Manche Unternehmen denken an kreative Lösungen – wie sieht es mit dem Thema Zollbetrug oder Herkunftsverschleierung aus?
Antwort: Davon ist dringend abzuraten. Die US-Zollbehörde (CBP) hat ihre Kontrollen 2024 deutlich verschärft: Mit KI-gestützten Systemen werden Lieferketten und Frachtinformationen inzwischen systematisch geprüft. Falsche Ursprungsangaben, etwa durch simples Umetikettieren in Drittstaaten, führen zu empfindlichen Geldstrafen, Markenrisiken oder sogar Importverboten. Seriöse Strategien lohnen sich langfristig deutlich mehr – und sichern auch die Reputation im Markt.
Fazit
Die aktuellen Entwicklungen zeigen: Zollpolitik bleibt ein hochdynamisches Feld – mit direkten Auswirkungen auf globale Lieferketten, Preisstrukturen und Marktzugänge. Für Unternehmen ist es wichtiger denn je, Zollentscheidungen nicht nur auf formaler Ebene zu verfolgen, sondern auch deren politische Kontexte und strategische Hintergründe zu verstehen.
douana.ch wird daher fortlaufend aktualisiert, um Unternehmen fundierte Orientierung zu bieten – in einer Zeit, in der sich Handelsbedingungen schneller verändern denn je.